James Richards und Leslie Thornton zeigen in der Secession ihr erstes gemeinsames Projekt, Crossing (2016). Die Videoinstallation materialisiert eine intensive Phase künstlerischer Kollaboration zwischen den KünstlerInnen, die zwei unterschiedlichen Generationen und Kontexten angehören. Die Medienkünstlerin Thornton, die selbst von Paul Sharits, Yvonne Rainer und Joan Jonas beeinflusst wurde, schafft in ihren Arbeiten oft Projektionen mit komplexen Bild-Ton-Interaktionen. Auch in Richards Werk spielen musikalische Kompositionen eine zentrale Rolle. Beide verstehen Kino und Video als eigenständige Ausdrucks- und Denkformen.
Der Titel der Arbeit erinnert an die Art und Weise, wie die beiden zusammenarbeiten, ihre eigenständigen Praktiken kreuzen und ihre Ansichten teilen:
„Thornton und Richards haben ihre Dateien über digitale Netzwerke hochgeladen, das Material untereinander ausgetauscht, geändert, gelöscht und gleichzeitig umgestellt. Fieberhaft in ihren jeweiligen Zeitzonen arbeitend (Thorntons spätes Nachtarbeiten würde in Richards frühe Morgenarbeit übergehen), erweiterten sie Crossing mit jeder Version und Variation.
Als sich das Paar schließlich in Minneapolis zum ersten Screening im Walker Art Museum traf, setzte es seine Arbeit fort, bis die letzte Sequenz auf einem Laptop auf dem Rücksitz eines Taxis auf dem Weg zur Kinopremiere beendet war. Crossing erlangte eine physische Existenz erst mit dem Transfer auf eine Festplatte in der Filmkabine, kurz bevor das Publikum den Saal betrat.“
Zudem spielt Crossing auf Crossroads (1976) an, einen Kurzfilm von Bruce Conner, der Filmmaterial der US-amerikanischen Atomtests im Bikini-Atoll im Jahr 1946 wiederverwertet. Conner konfrontiert die BetrachterInnen mit Zeitlupenbildern, die gelegentlich nicht mit einem Soundtrack, der eigens von Pionieren experimenteller Musik komponiert wurde, übereinstimmen. In ähnlicher Weise stellt der streng organisierte Rahmen von Richards und Thorntons Video sich wiederholende Bildfragmente und Schallimpulse gegenüber, moduliert und iteriert diese.
Als Assemblage von found footage und Originalmaterial aus den umfangreichen Archiven der KünstlerInnen, bewegt sich Crossing durch mehrere Phasen und wird schließlich zu einer audiovisuellen Notiz über künstlerische Produktion und Zusammenarbeit.
„Im Rahmen einer assoziativen Logik, die der Arbeit an dem Projekt schon früh zugrunde lag, dienen die materiellen Unterströmungen von Radio at Night (James Richards, 2015) und They Were Just People (Derek Jarman, 2016) als doppelter Ausgangspunkt für Crossing. Gemeinsam ist beiden Videos die Beschäftigung mit den grundlegendsten Aspekten des Bewegtbilds: einerseits die Fixierung auf Blende und Kader, in dem Löcher – in Form von Narben, Einschusslöchern, Leerstellen und Pupillen – für den Raum des Sehens oder des Eintritts in den Körper stehen; andererseits eine rastlose Erkundung der Grenzen der Technologie des Sehens, in der es um den intimen Blick und sein Gegenteil, das waffenfähige mechanische Überwachungsauge, geht. Solche Impulse verknüpft Crossing; stellenweise ist das Material invertiert, wie um seine Erkenntniskraft und Wahrhaftigkeit auf die Probe zu stellen. Überall finden sich Überlagerungen und Nahtstellen, künstliche und lebende Kreaturen. Überall erblickt man nicht nur Löcher, sondern Augen. Schließlich befinden wir uns in einem dicht bevölkerten, einem stürmischen, nassen, fruchtbaren Biotop.
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Angespannt versucht man, inmitten der formalen Wiederholungen und Echos im Material einen Erzählfaden auszumachen, doch das Video zeigt eine Welt, in der die Logik und Sprache der Sequenz nicht greifen, Nachbildung und Nachbild der von Ferne erblickten oder erträumten Vision eines/r anderen. Aus Crossing spricht der Wunsch, die je eigenen Handschriften ineinander übergehen zu lassen, sich dem künstlerischen Prozess eines/einer anderen anzuvertrauen: eine Vergegenwärtigung einer Welt, in der, wie eine/r der Künstler/innen sagt, ‚etwas Besonderes geschehen kann, das mehr ist als bewusste Erwartung oder Absicht.‘“ (Mason Leaver-Yap)
Zur Ausstellung erscheint das Künstlerbuch Event von Leslie Thornton, in dem sie ihre Arbeitsweise der Montage von Bild- und Textmaterial auf das Medium Buch überträgt.