Im Sinne von Krischanitz’ Renovierungskonzepts des “Rückbaus” lässt Küng die vier Säulen nun nach 20 Jahren in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen. Er greift damit nicht nur das Spiel der von Joseph Kosuth auf reziproke Art und Weise kuratierten Wittgenstein-Ausstellung wieder auf, sondern befragt grundsätzlich den “Neutralitätsstatus” des White Cube, für den die Secession international als Vorläufer gilt.
Der Akt der Wiederherstellung dieser architektonischen Bedingung beruht keineswegs auf einem romantischen Motiv. Vielmehr sollen anhand 24 großteils für die Ausstellung produzierter oder adaptierter Arbeiten, teils auf evidente, teils auf sehr kodierte Art und Weise die spezifischen Qualitäten des Ortes selbst – der Genius loci – dessen Geschichte, Architektur wie auch dessen Defizite wieder ins Bewusstsein gerufen werden. So resonieren die präsentierten Werke – Licht- und Soundinstallationen, Skulpturen, Objekte und Möbel, Wandmalereien, Künstlerbücher, Performance und Video – nicht nur die historische Kultur und Architektur des Hauses, sondern auch deren Mentalitäten untereinander.
Das Reflektieren von Ort, Werk und Geschichte kommt unter anderem in der Teilrekonstruktion der Arbeit ohne Titel (1995/2011) von Heimo Zobernig zum Ausdruck. Anlässlich seiner Personale 1995 ließ er mit dem von Krischanitz für die Secession entworfenen Wandsystem eine labyrinthartige Installation bauen. Diese basierte im Grundriss auf dem Entstehungsjahr und den Initialen des Künstlers: 95HZ. Für den inneren Zylinder der Ziffer 9, eigentlich ein Kubus, verwendete Zobernig aus Mangel an verfügbaren Stellwänden nur vier vertikale Metallstützen des modularen Wandsystems. In diese zog er vier neue, rohbelassene Spanplattenwände ein. Dieser Kubus wurde gemäss den bekannten Strategien des Künstlers zu einem autonomen Objekt der Installation. In der aktuellen Ausstellung steht dieser Kubus sechzehn Jahre später an exakt derselben Stelle wieder im Hauptraum, errichtet nun mit den vorhandenen Stellwänden aus dem Depot der Secession. Diese “neue” Skulptur inkorporiert und reflektiert neben der Geschichte der Institution auch jene des Künstlers selbst und ist nur ein Beispiel für die vielschichtigen Verwicklungen, welche diese Ausstellung bietet.
Was aber ist die “fünfte Säule”? Nicht zufällig ist sie im Ausstellungssujet, das auf einer historischen Aufnahme der Fotografin Margherita Spiluttini basiert, in vollem Glanz zu sehen; allerdings auf den zweiten Blick erst bemerkbar an einer Stelle, wo sie eigentlich nicht stehen kann. Der Schriftsteller Ferdinand Schmatz, der einen Text für den Katalog geschrieben hat, formuliert: “Schau, die Säule des Erkennens: Denk nicht, schau!” So gibt diese Ausstellung vielleicht mehr Anlass zum Sehen; zum Sehen einer neuen Gegenwart des Gebäudes, von Konservierung, Reparatur, Ergänzung und Adaptierung, letztendlich auch von einer Revision der Postmoderne.